Caroline Leursen wusste nicht, dass sie Amerikanerin ist. Sie wurde 1964 in der Stadt Ames in Iowa geboren, woran sie sich nicht erinnert. Ihre niederländischen Eltern, die Chemiker waren, waren von ihrem Arbeitgeber Unilever für ein Jahr zum Studium an die Iowa State Universität geschickt worden. Zwei Monate nach ihrer Geburt kehrten sie in die Niederlande zurück.
Leursen lebt nach ihrer Scheidung in Großbritannien – mit niederländischer Staatsbürgerschaft. Sie erhielt ein Schreiben von der niederländischen ING Bank, bei der sie ein Konto hat. Darin wurde sie darüber informiert, dass ihre Daten an die USA weitergegeben würden. Das ist das Ergebnis eines kürzlich verabschiedeten Abkommens über den Austausch von Finanzdaten, welches wiederum auf dem amerikanischen Financial Assets Tax Compliance Act von 2010 beruht.
Leursen war überrascht. Sie hatte niemals einen amerikanischen Pass beantragt, noch wusste sie, dass sie überhaupt die US-Staatsbürgerschaft besaß.
Inzwischen hat Caroline Leursen mehr Informationen eingeholt. Sie fand zum Beispiel heraus, dass sie ab dem Moment, ab dem sie Geld verdient hatte, in den USA steuerpflichtig war und ihre finanziellen Aktivitäten an den IRS berichten musste. Alles, weil die USA auch ihre im Ausland lebenden Bürger besteuert, wie sie nun weiß. Leursen muss nun ihre Steuererklärungen der letzten fünf Jahre einreichen.
Was Leursen passiert ist, betrifft auch etwa weitere 8,7 Millionen Amerikaner außerhalb der USA, von denen etwa 40.000 in den Niederlanden leben. Ab September sind deren Banken verpflichtet, ihre Daten an die US-Regierung weiterzugeben. Das ist ein Schock für manche Menschen – besonders wenn sie noch nicht einmal wissen, dass sie Amerikaner sind. Es ist darüber hinaus auch ärgerlich, weil es die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung und weitere administrative Aufgaben mit sich bringt. Die niederländischen Banken sind auch nicht glücklich damit, für die USA zusätzliche Informationen zur Verfügung zu stellen, so dass einige von ihnen ihre US-Kunden gleich komplett loswerden möchten.
8,7 Millionen Amerikaner, die nicht in den USA leben, müssen ihre Steuern erklären.
40.000 davon leben in den Niederlanden.
Etwa 3.400 Amerikaner legten 2014 ihre Staatsbürgerschaft ab. Dieses Jahr werden es mehr sein.
Und es gibt noch eine Erschwernis: Obwohl es Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung zwischen den Niederlanden und den USA gibt, läuft es in der Praxis nicht so reibungslos. Leursen erhält zum Beispiel Kindergeld und andere staatliche Unterstützung, um ihr niederiges Einkommen auzubessern. Laut dem Steuerberater, den sie zu Rate zog, muss sie darauf in den USA Einkommenssteuer zahlen. “Niemand weiß etwas Genaues darüber”, beschwert sie sich.
Beim Kauf oder Verkauf eines Hauses oder von Geldanlagen wird das Unheil noch größer. In Großbritannien und in den Niederlanden gibt es keine Steuer auf den Kapitalgewinn. In den USA schon. Caroline Leursen muss nun Steuern auf den Gewinn aus ihrem Hausverkauf zahlen, obwohl sie schon Grunderwerbssteuer auf den Kauf bezahlt hat, so wie in den Niederlanden.
Ein Amerikaner im Ausland, mit oder ohne doppelte Staatsbürgerschaft, erfährt die negativen Konsequenzen beider Welten.
Daan Durlacher aus Amsterdam hatte gerade sein Unternehmen verkauft, als er seine amerikanische Steuerpflicht erkannte – seine Mutter ist Amerikanerin und er somit auch. Er leidet auch unter diesen Auswirkungen. Geld, dass er von seiner Gesellschaft ausgeliehen hat, zählt in den Niederlanden nicht als Einkommen, in den USA schon. Und somit muss man darauf Steuern zahlen. Der IRS forderte 42.000 US-Dollar von ihm, obwohl er seine Steuern schon bezahlt hatte – bei der niederländischen Regierung.
Mark Petit, der in Rotterdam als Finanzspezialist arbeitet, bekam den langen Arm der US-Regierung ebenfalls zu spüren. Nach seiner Geburt in Palo Alto in Kalifornieren 1976 lebte er nie wieder in den USA. Das musste er selbst nachweisen, mit Schulzeugnissen, ärztlichen Urkunden und Meldebescheinigungen. Mehr noch, dies befreit ihn nicht von der Steuerpflicht in den USA.
Caroline Leursen ist nicht zufrieden mit den Beratungsmöglichkeiten, die die amerikanischen Behörden zur Verfügung stellen. Es macht ihr nichts aus, ihre Steuern zu zahlen, aber sie ist auch misstrauisch. “Weil es kaum jemals vorkommt, dass Amerikaner keine Social Security Number (Sozialversicherungsnummer) haben.”
Rechtlich gesehen dürfen Amerikaner nur Geld auf Anlagefonds überweisen, die unter der Aufsicht der amerikanischen Securities and Exchange Commission stehen. Diese Regel sollte ursprünglich die Verbraucher schützen. Aber die US-Regierung sollte keine Rechnungen eines US-Bürgers in einem Anlagefonds finden, der nicht vom SEC überwacht wird. Die betroffene Bank läuft dann Gefahr, Sanktionen zu bekommen. Und der Kontoinhaber muss seine Zahlung irgendwie anders regeln.
Für Amerikaner, die ihrer Steuerpflicht nicht nachkommen, sind die Strafen hart. Wenn sie sie ignorieren, kann die Strafe bis zu 10.000 US-Dollar betragen. Es gibt eine Reueregelung, wonach die Steuererklärungen der letzten drei Jahre eingereicht werden können und keine Bestrafung erfolgt. Der Steuererklärung selbst kann man nicht entkommen. Sie nicht einzureichen wird vom IRS üblicherweise als Straftat betrachtet. Und die USA haben ein Auslieferungsabkommen mit den Niederlanden.
Und so sehen sich viele Menschen, die dachten, dass sie gesetzestreue Bürger seien, plötzlich dem Risiko gegenüber, als Kriminelle behandelt zu werden. “Ich bin total dafür, dass sie die Leute fangen, die Schwarzgeld horten”, sagt Mark Petit. “Aber jetzt werde ich behandelt, als ob ich der Regierung absichtlich Geld vorenthalten habe.”
Durlacher hat inzwischen Americans Overseas BV gegründet, um Amerikanern im Ausland mit der neuen Gesetzgebung zu helfen. “Mit diesem Gesetz will Amerika die großen Fische fangen, aber sie bekommen nur die kleinen Guppys”, sagt er. Die Webseite americansoverseas.info stellt Amerikanern Informationen zur Verfügung, und sein Unternehmen gibt Kontakte für Steuerberatern und Rechtsanwälte weiter.
Auf Webseiten wie americancitizensabroad.org und democratsabroad.org, gibt es genug Beschwerden. Die Leute fühlen sich wie Kriminelle behandelt und beschweren sich, im Ausland keine Konten bekommen zu können, weil die Banken die administrative Belastung scheuen.
Viele Amerikaner, die im Ausland leben, mit oder ohne doppelte Staatsbürgerschaft, wollen ihre US-Staatsbürgerschaft aufgeben. Nehmen Sie Boris Johnson, Bürgermeister von London. Er verkündete, seinen US-Pass abgeben zu wollen, nachdem er einen “skandalös hohen Betrag” an den IRS überweisen musste – im Zusammenhang mit dem Verkauf seines Hauses.
In den Niederlanden hat Mark Petit herausgefunden, dass man nicht einfach so seine US-Staatsbürgerschaft aufgeben kann. “Es kostet viel Zeit und Geld.” Zusätzlich muss man all seinen US-Steuerpflichten nachkommen.
*Einige Namen wurden geändert.
Dieser Artikel article erschien im NRC Handelsblad vom Donnerstag, 23. Juli 2015, auf den Seiten 10 und 11.
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